Als Kind fand ich Tagebuch-Schreiben immer cool. Ich hab es nicht wirklich regelmäßig gemacht, aber wenn, dann wollte ich aufregende Geschichten erzählen, über die ich mich auch 20 Jahre später noch freuen würde. Traurigerweise sind meine Tagebücher zwischen damals und heute irgendwann verloren gegangen, sodass mir heute nur noch einzelne Erinnerungen bleiben. Aber die reichen aus daran zu zweifeln, ob ich das Thema Tagebuch-Schreiben damals wirklich richtig verstanden hatte.

Ich erinner mich an einen Tag, als ich die Bedeutung von „Gefühlsschwankungen“ kennenlernte. Zwischen zwei Männern stehen und sich nicht entscheiden können. Vielleicht war es in der Serie „Berlin, Berlin“, ich weiß es nicht mehr. Jedenfalls schien mich dieses neue Wort zu faszinieren. Ein paar Tage später, es ist als wäre es gestern gewesen, hatte ich mir zwei Jungs aus der Schule ausgesucht, die die Hauptdarsteller meiner neuen Tagebuch-Geschichte werden sollten. Und ich schrieb in mein Büchlein, wie verliebt ich in sie beide war und fragte, warum ich nur mit diesen verrückten Gefühlsschwankungen zu kämpfen hatte.

Offensichtlich wollte ich mich schon damals cooler machen, als ich tatsächlich war. Ich nutzte mein Tagebuch also weniger dafür zu verarbeiten, was ich erlebte, sondern vielmehr, um zu erfinden, was ich gerne erleben würde. Glücklicherweise hörte ich irgendwann auf, in dieser Fantasiewelt zu leben, und verbannte auch das Tagebuch-Schreiben aus meinem Leben. Bis vor einigen Wochen.

Ich habe ja schon mehrfach erwähnt, dass ich gerade in der Anfangsphase meiner beruflichen Neuorientierung das Gefühl hatte, ununterbrochen produktiv sein zu müssen. Das hatte nicht nur den Effekt, dass ich unglaublich gestresst war, sondern auch, dass ich all das am Tag Gelernte gar nicht mehr verarbeiten konnte. All das Wissen, dass ich mir durch Bücher, Artikel und Podcasts zu Gemüte führte, blieb zu einem großen Teil ungenutzt, weil ich mir nicht den Raum gab, das Wissen zu verankern. Auf der Suche nach einer Möglichkeit, dies zu ändern, stieß ich schließlich auf das Thema „Journaling“.

Letztlich ist Journaling das Tagebuch-Schreiben von heute. Nur in fancy. Und etwas kommerzieller. Im Wesentlichen geht es aber immernoch darum, sich mit sich zu beschäftigen, sich seiner selbst bewusster zu werden. Dankbarer für die kleinen Dinge im Leben zu werden, um den Dingen des Alltags mit einer positiveren Grundeinstellung zu begegnen. Und in der Regel schreibt man dabei nicht einfach drauf los, wie beim klassischen Tagebuch, sondern beantwortet jeden Tag ein paar konkrete Fragen, um sich den Themen strukturierter zu nähern.

Es gibt ein paar Bücher, wie zum Beispiel das 6-Minuten Tagebuch von urbestself.de, die einen hier an die Hand nehmen und einem täglich ein paar Fragen vorgeben, um sich selbst sowie den Tag zu reflektieren. Zudem gibt es darin auch wechselnde Wochenfragen, die einen darin unterstützen, sich über die Zeit weiterzuentwickeln. Im Prinzip sind einem hier aber keine Grenzen gesetzt und man kann sich seine Fragen nach Belieben selber zusammenstellen oder, wenn man beim klassischen Tagebuch bleiben möchte, auch weiterhin einfach drauflosschreiben. Man kann nichts falsch machen, solange die gewählte Methode und die gewählten Fragen einem dabei helfen, sein Ziel zu erreichen.

Mir ging es in erster Linie darum, mir am Tag die Zeit zu nehmen, meine Gedanken und mein Wissen zu ordnen. Meine Gedanken, weil sich diese viel zu oft in endlosen Gedankenschleifen ohne nennenswerten Output verheddern. Und mein Wissen aus den oben genannten Gründen. Und so entschied ich mich dafür, mir meine eigenen Fragen zur täglichen Beantwortung zu stellen, die auf genau diese Ziele zugeschnitten waren. Ich startete mit drei Fragen morgens und vier Fragen abends. Über die Zeit haben sich die Fragen verändert, manche fielen weg und ich entschied mich schließlich dazu, nur noch Fragen am Abend zu beantworten. Einfach, weil ich merkte, dass es so für mich besser funktionierte. Die folgenden drei Fragen stellten sich langfristig als die für mich wichtigsten heraus:

  1. Was habe ich heute (über mich) gelernt?
  2. Was hat mich heute beschäftigt?
  3. Meine ToDo-Liste für den nächsten Tag

Mit der ersten Frage stellte ich mich meinem Ziel, mein am Tag gewonnenes Wissen zu aggregieren, zu reflektieren und zu verinnerlichen. Mit der zweiten Frage ging es meinen Gedankenschleifen an den Kragen. Ich versuchte Denkmuster zu erkennen und damit zu erarbeiten, wie ich zukünftig mit ähnlichen Situationen besser umgehen kann. Und mit Frage drei strukturierte ich den kommenden Tag, um nicht mal wieder den Wald vor lauter Bäumen aus den Augen zu verlieren.

Für mich waren die Folgen tatsächlich ziemlich schnell spürbar. Zunächst einmal daran, dass ich abends viel besser einschlafen konnte, weil mir nicht noch all mögliche Gedanken durch den Kopf gingen. Schließlich hatte ich sie bereits aufgeschrieben, vergessen war also keine Gefahr. Daneben merkte ich, dass sich dadurch das Ziel der Selbstreflektion ganz automatisch ergab, ohne dass ich es mir durch konkrete Fragen zum Ziel des Journalings gemacht hatte. Ich lernte mich selber besser kennen, wie ich in bestimmten Situationen dachte und handelte, wie ich sein und auch nicht sein wollte und was ich aus all dem für die Zukunft mitnehmen konnte. Alles in allem ein rundum gelungenes Projekt.

Seitdem habe ich das Journaling als festen Bestandteil in meinen Alltag integriert. Zwar gibt es auch mal den ein oder anderen Tag, an dem ich es einfach nicht schaffe, ich versuche aber, dass das die absolute Ausnahme bleibt. Denn wir wissen ja, ohne Fleiß kein Preis… Und wenn ich heute genauer darüber nachdenke, dann lag ich mit meiner Methode des Tagebuch-Schreibens in meiner Kindheit vielleicht doch nicht ganz so daneben. Denn letztlich sehe ich Journaling heute als Kombination aus zwei Dingen:

  1. Reflektion des Erlebten und damit meiner eigenen Person
  2. Ableiten von Wünschen für mein zukünftiges Leben

Ich wünsche mir zwar heute nicht mehr, mich zwischen zwei Männern nicht entscheiden zu können und Gefühlsschwankungen finde ich auch doof. Dafür habe ich aber viele andere Wünsche, die sich zum Teil erst aus meinem Journaling ergeben haben. Dadurch kann ich nun aktiv an ihnen arbeiten, um so vielleicht doch noch meine eigene Fantasiewelt zur Realität zu machen!