Als ich in der Finanzbranche gearbeitet habe, habe ich mich oft fehl am Platz gefühlt. Meine Kollegen waren interessiert, begeistert für die Themen und unablässig dabei, in die Tiefen der einzelnen Aufgaben vorzudringen. Jeder für sich war Spezialist in einem bestimmten Bereich und erarbeitete sich dort ein Alleinstellungsmerkmal. Ich jedoch war anders. Auf der einen Seite hatte ich nicht das Interesse und damit auch nicht die Motivation, mich tiefgehend in ein einzelnes Thema einzuarbeiten. Auf der anderen Seite hatte ich das Gefühl, dass ich dafür auch gar nicht die Fähigkeiten hatte. Beides bedingte sich letztlich vermutlich gegenseitig, sodass ich am Ende des Tages alles irgendwie ein bisschen konnte, aber nichts richtig gut. Es gab überall jemanden, der von dem Bereich noch mehr verstand als ich, was letztlich dazu führte, dass ich mich überflüssig fühlte. Wie gesagt irgendwie fehl am Platz.

Seitdem ich mich mit meiner beruflichen Neuorientierung beschäftige, merke ich, dass sich dieses Phänomen durch mein Leben zieht. Ich habe sehr viele Interessen, die ich gerne mache und auch ganz gut kann. Es gibt jedoch nichts, was dabei heraussticht. Nichts, was ich ganz besonders gerne mache oder ganz besonders gut kann. Nichts, in dem ich mich als Spezialist sehe.

Die ersten Wochen nach der Rückkehr von meiner Weltreise hat mich das extrem frustriert. In Büchern las ich, dass ich mich mit meinen Interessen und Fähigkeiten beschäftigen soll und mich die Überschneidung bestenfalls zu meinem Traumjob führt. Als ich begann, mich näher damit zu beschäftigen, wurde meine Liste der Interessen immer länger. Vom Sport über das Schreiben, dem Reisen sowie dem Organisieren von Veranstaltungen bis hin zum Puzzlen sowie dem Bilden von Quersummen war alles dabei. Es waren viele Dinge, die ich gerne machte, aber keinesfalls so gut konnte, dass sie eine Basis für einen Job bildeten. Ich kann also auch außerhalb der Finanzbranche vieles ein bisschen, aber nichts richtig gut. Was dazu führte, dass ich schnell an meine Grenzen stoß und der Traumjob in weite Ferne rückte.

Ich fragte mich, warum jeder um mich herum zu wissen schien, wo sein Platz in dieser verdammten Berufswelt war. Warum gab es für jeden Etwas, das ihn begeisterte? Warum hatte jeder sein Thema gefunden, bei dem er oder sie sich mit Leidenschaft immer tiefer hineinarbeitete und so zum gefragten Spezialisten wurde? Und warum zur Hölle hatte ich das nicht? Warum fand ich alles ganz gut, aber nie so gut, dass es das Feuer in mir entfachte? Warum konnte ich für nichts diese Leidenschaft aufbringen, mich tiefgehend mit einem Bereich zu beschäftigen? Warum kannte ich meinen Platz in dieser Berufswelt nicht?

Ich resignierte. Und fing an zu googlen. Und schnell merkte ich, dass ich nicht alleine war. Dass es da draußen noch viele andere Menschen gab, denen es so ging wie mir. Menschen, die viele Interessen haben. Menschen, die vieles gerne machen. Menschen, die vieles gut können. Menschen, die sich nicht auf eine Nische spezialisiert haben.

Je nachdem, wo man nachliest, werden diese Menschen als Scanner-Persönlichkeiten oder als Generalisten bezeichnet. Im Grunde aber bezeichnen beide Begriffe das gleiche: Menschen, die ihre Stärke in ihrer Vielseitigkeit haben. So bekam ich einen neuen Blick auf diesen Teil meiner Persönlichkeit. Denn Generalisten (ich bevorzuge dieses Wort) sind keinesfalls schlechter als Spezialisten. Sie besitzen im Gegenteil Qualitäten, die in der zukünftigen Berufswelt immer bedeutsamer werden. Sie schaffen Verbindungen zwischen fremden Fachgebieten, sie verknüpfen scheinbar unabhängige Themen zu neuen Ideen und wahren den Überblick. In einem Podcast hat mich schließlich die wie ich finde wahre Aussage, dass die erfolgreichsten Neuerfindungen heutzutage meist durch die Kombination von zunächst als voneinander unabhängigen Spezialgebieten entstehen, von den Stärken des Generalisten überzeugt. Denn den meisten Spezialisten fehlt es an der Fähigkeit, diese Transferleistung in ein ihnen fremdes Fachgebiet zu erbringen. Diese Fähigkeit obliegt stattdessen dem Generalisten, der sich für die konkrete Umsetzung dann die einzelnen Spezialisten zu Hilfe holt. So habe ich gelernt, mich zu akzeptieren, wie ich bin – als Generalist und nicht als Spezialist.

Warum heißt die Überschrift dieses Beitrags dann „Der Fluch der Generalisten“ mögt ihr euch jetzt fragen. Ja, ich bin gerne Generalist. Ja, ich bin stolz darauf Generalist zu sein. Und ja, ich möchte nicht mit einem Spezialisten tauschen. Aber trotzdem würde ich es mir manchmal wünschen. Weil es mir leichter erscheint, dann seinen Platz in der Berufswelt zu finden. Denn ist die Vielseitigkeit des Generalisten auf der einen Seite eine Stärke, so ist es auf der anderen Seite doch auch die Qual der Wahl. Hat man viele Interessen, so ist es nahezu unumgänglich, dass davon nur ein paar wenige im Beruf verwirklicht werden können. Das setzt zum einen voraus, dass man eine Entscheidung trifft. Wie schwer mir das fällt, darüber habe ich ja bereits in meinem letzten Beitrag berichtet. Zum anderen braucht es aber auch eine Vision. Eine Vision eines Jobs, in dem sich diese Interessen vereinen lassen. Und hier stehe ich aktuell. Visionslos sozusagen. Ohne Idee für einen Job, der meine Interessen vereint und mich gleichzeitig erfüllt.

Ich würde also letztlich sagen, dass es Fluch und Segen zugleich ist, ein Generalist zu sein. Ein Segen, weil es unfassbare Stärken mit sich bringt. Und ein Fluch, weil die Suche nach dem „Traumjob“ erheblich schwerer ist, als für einen Spezialisten. Ich bin aber weiterhin davon überzeugt, dass sich diese Suche lohnt und ein Generalist im „richtigen“ Job etwas Großartiges leisten wird. Ihr erfahrt es als erstes, wenn ich dort angekommen bin!