
Ich gebe zu, dass mir die heutige Erkenntnis eigentlich nicht wirklich in der vergangenen Woche gekommen ist. Tatsächlich kam sie mir das erste Mal bereits im Studium, als ich ein Stipendium bekam. Das zweite Mal kam sie mir, als ich zusammen mit meinem Coach vor ein paar Wochen meinen beruflichen Stammbaum analysierte. Diese Woche hielt ich es für an der Zeit, die Erkenntnis mit euch zu teilen: ich bin etwas Besonderes!
Etwas Besonderes, das ist jeder von uns. Denn wir alle sind individuell und einzigartig, wie wir sind. Ich habe allerdings gemerkt, dass wir uns dessen gar nicht immer bewusst sind. Das, was uns besonders macht, mag in unseren Augen lediglich „normal“ erscheinen oder wir beurteilen es manchmal gar als negativ. So war es auch bei mir. Im Studium habe ich ein Stipendium dafür bekommen, dass meine Eltern keine Akademiker sind. Und im Rahmen meines Karriere-Coachings vor ein paar Wochen wurde immer wieder betont, dass ich stolz darauf sein kann, dass ich die erste in der Familie bin, die die Akademiker-Laufbahn eingeschlagen hat. Denn ich bin offensichtlich ein sogenanntes Nicht-Akademiker-Kind und damit etwas Besonderes, weil ich (trotzdem) studiert habe. Eine Erkenntnis, die mir bis dato nicht bewusst war.
Zum Start meines Studiums hatte ich mir keinerlei Gedanken darüber gemacht, dass es einen Unterschied machen könnte, dass meine Eltern selber nicht studiert haben. Unter den Kommilitonen war das ohnehin nie ein Thema und so habe ich das weder hinterfragt geschweige denn als etwas Besonderes angesehen. Im Gegenteil sah ich mich eher als Außenseiterin der Familie. Als das schwarze Schaf. Als die einzige in der Familie, die nicht den bis dato klassischen und in der Familie bekannten Berufsweg gegangen ist. Als die einzige, die nicht im Umkreis von 50km zu ihren Eltern und Großeltern wohnt. Und als die einzige, die mehr Tage im Jahr im Ausland als mit den eigenen Verwandten verbringt.
Als ich schließlich ein Stipendium allein für die Tatsache bekam, dass meine Eltern nicht studiert hatten, wurde mir erstmals bewusst, dass ein Studium für Nicht-Akademiker-Kinder noch immer alles andere als selbstverständlich ist. Die Wahrscheinlichkeit dafür liegt um ein Vielfaches geringer als bei Kindern, bei denen mindestens ein Elternteil selbst ein Studium absolviert hat. Und ein Teil meiner für mich bis dato ganz normalen Lebensgeschichte bekam auf einmal einen neuen Stellenwert. Ich bekam einen anderen Blick auf die Situation. Sah ich sie vorher eher aus der Außenseiterbrille der Familie, wohnte der Situation auf einmal auch etwas Positives bei. Auf einmal wurde ich für etwas gelobt, was ich selbst immer als vermeintliche Schwäche empfand. Auf einmal war ich etwas Besonderes.
Als ich vor ein paar Wochen in einer meiner Sitzungen zusammen mit meinem Coach meinen beruflichen Stammbaum analysierte, fragte sie mich am Ende, ob ich eigentlich stolz darauf sei, dass ich es als erste der Familie in den Kreis der Akademiker geschafft hatte. Ich fand diese Frage noch immer schwer zu beantworten. Denn natürlich war ich stolz auf meinen Studienabschluss. Weil ich ihn erfolgreich gemeistert hatte. Nicht aber, weil ich ihn trotz meiner „Herkunft“ gemeistert hatte. An dem Tag ist mir wieder bewusst geworden, wie stark Eigen- und Fremdwahrnehmung voneinander abweichen können. Für wie selbstverständlich wir Dinge erachten, die wir geleistet haben. Und für wie besonders sie ein Außenstehender hält.
Oft sind wir uns unserer herausragender Persönlichkeit gar nicht bewusst. Für uns erscheint „normal“, was für andere eine Leistung ist. Für uns ist nicht erwähnenswert, was für andere einen Preis verdient. Und für uns ist eine Schwäche, was andere als Stärke sehen. Wir wissen, können, sind so viel. Doch wir selber sehen viel zu selten das Besondere, das dahintersteckt. Es gibt so viel an und in uns allen, auf das wir stolz sein können. Und auch, wenn man für seine „Herkunft“ beispielsweise nichts kann, kann man sicher stolz darauf sein, was man aus den einem gegebenen Möglichkeiten gemacht hat.
Wenn also auch du mal wieder denkst, dass du doch nichts Besonderes weißt, kannst oder bist, dann erinnere dich an meine Geschichte. Am besten fragst du jemand Außenstehendes, was dich besonders macht und du wirst erstaunt sein, für was du als Person alles geschätzt wirst. Auf was du alles stolz sein kannst. Manchmal braucht es eben einen kleinen Wink mit dem Zaunpfahl, der uns endlich darauf aufmerksam macht, wie besonders wir sind. Und dann ist es an der Zeit, unsere Stärken zu nutzen!
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